Werke von 2014 bis heute

Das Studium der Kunst ist stets ein Studium an der Kunst. Vorbilder werden kopiert, variiert oder zitiert. Auch bei Tim Lorenz stand am Anfang ein Aneignungsprozess, nämlich einer bestimmten künstlerischen Technik, bei der mit Rakeln unterschiedliche Farbschichten auf- und abgetragen werden. Dadurch entstehen abstrakte Gemälde mit verblüffender räumlicher Tiefe. Diese Technik ist mit dem Namen Gerhard Richters verbunden, wenngleich Richter gerade versucht, den individuellen Duktus aus seinen Werken zu verbannen. Obwohl Tim Lorenz danach strebt, die Malmethode mit Perfektion zu beherrschen, geht es ihm keineswegs darum, mit Richter in einen Wettstreit zu treten. Der Oldenburger Künstler begreift die Technik eben nicht als Individualstil Richters, sondern als allgemeingültigen Stil.

Während jahrhundertelang der individuelle Stil eines Künstlers eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle spielte, gewann dieser Aspekt in der Neuzeit bis zu einem Höhepunkt in der klassischen Moderne eine immer größere Bedeutung. Die Handschrift des Künstlers wurde zum Merkmal seiner Qualität. Nach der Stilvielfalt der klassischenModerne wurde in den 1960er Jahren eine Krise der Malerei postuliert. Sowohl stilistisch als auch inhaltlich schienen alle Wege grundsätzlich ausprobiert worden zu sein. Einen Ausweg aus dieser Krise fanden einige Künstler in der Aufgabe des individuellen Stils, weitergehend sogar bis zur Aneignung fremden Materials, um dem Zwang der Originalität zu entgehen, mithin also ein Angriff auf die vermeintlich letzte allgemeingültige Kategorie von Kunst: Sei innovativ, sei originell. Zumindest im Stil und Bildmaterial wollten die Künstler der Appropriation Art die Innovation nicht suchen, sondern in der Kontextualisierung der Bilder. Folgelogisch übernimmt Lorenz von seinen Vorbildern nicht die künstlerischen Konzepte, sondern er macht sich lediglich die Techniken zu eigen.

Künstler der Generation von Tim Lorenz betrachten künstlerische Stile als frei verfügbar, derer man sich nach eigenen Vorstellungen bedient. Dabei geht es durchaus um eine lustvolle und experimentierfreudige Aneignung von Stilen, wie gerade die jüngeren Werke des in Varel geborenen Künstlers zeigen. Während die früheren Arbeiten noch die Auseinandersetzung mit den Originalen in technischer Hinsicht suchen, bedient sich Lorenz der Technik nun frei und schafft damit eigene Bildwelten, die das Mechanische mit dem Gestischen verbinden. Um uns als Betrachter in diesen Prozess einzubeziehen, hat der Künstler neue, erstmals in dieser Ausstellung präsentierte Werke geschaffen, die uns als Betrachter einladen, uns die Werke ganz konkret anzueignen. Diese Gemälde sind mit einer schwarzen Farbschicht überzogen und wir dürfen selbst auf der Leinwand nach darunter verborgenen Farbwelten schürfen. Und so wird aus dem individuellen Werk mit eindeutiger Autorenschaft ein Gemeinschaftswerk.